Genfer Marathon

28. September 2008 - Der Genfer Marathon fand genau vier Wochen vor dem Lucerne Marathon statt. Bei den Vorbereitungen auf den Grossanlass in Luzern Ende Oktober waren lange Dauerläufe eine Pflicht.

Also dachte ich mir, statt einen langen Trainingslauf in Luzern zu absolvieren, ein paar Kilometer anzuhängen und an einem Wettkampf teilzunehmen. Daher war der Genfer Marathon Ende September ein perfektes Training.

Für einen persönlichen Trainingsplan hatte ich mich neu auf der Website von Victor Röthlin (www.vicsystem.com) angemeldet. Darin bekam ich wertvolle Informationen. So habe ich z. B. das Vorderfusstraining (wie noch im Bericht vom Davos Marathon erwähnt) gleich wieder eingestellt und ausschliesslich in meinem natürlichen Laufschritt trainiert. Meine vier bis fünf Trainings pro Woche reduzierte ich auf drei. Jene zog ich aber strickte durch. Ich hielt mich genau an die Vorgaben. Generell waren für mich die neuen Einheiten nicht nur präziser, sondern ich hatte einfach das gute Gefühl, das Richtige zu tun. Auch war ich weniger voller Tatendrang, fast täglich eine Trainingseinheit absolvieren zu müssen. Ich fühlte mich im Aufbau ruhiger, körperlich fitter, und privat hatte ich wieder ein bisschen mehr Zeit für Dies und Das.

In der Woche vor dem Genfer Marathon hielt der Herbst Einzug, und draussen wurde es wieder kälter. Eine kleine Grippe streifte mein Wohlbefinden. Ich fühlte mich nicht so, wie ich mich ein paar Tage vor einem Marathon fühlen sollte. Meine Vorfreude im Hinblick auf das Rennen am Sonntag steigerte sich am Mittwoch in eine Nervosität, denn eine Teilnahme ohne 100%-ige Gesundheit lang nicht drin und war mir auch zu riskant. Bis am Freitag versuchte ich meine Gesundheit mit NeoCitran zu richten, aber es ging nur langsam aufwärts.

Sonntagmorgen, 28. September

Um 04.00 Uhr ertönt mein Wecker, und jetzt ist es an der Zeit definitiv zu entscheiden, ob mein Gesundheitszustand als „fit and ready to go“ bezeichnet werden kann. Sofort mit einem „Ja“ kann ich dies aber nicht beantworten. Ich bin mir noch unsicher. Lohnt es sich, extra nach Genf zu fahren um dies herauszufinden? Wie gross ist das Risiko? Ich habe immer noch ein bisschen Schluckweh. Nun, da ich keine erhöhte Temperatur habe, genügend und gut geschlafen habe, entscheide ich, das warme Bett zu verlassen.

Um 04:40 Uhr fahre ab Richtung Genève. Die Nacht ist schwarz und die Aussentemperatur liegt um den Gefrierpunkt. Ich mache mich alleine auf den Weg, da meine Frau Piera im 7. Monat schwanger ist und ausschläft. Mein treuer Marathonfreund Gerry ist auf dem Weg nach Holland in die Ferien mit der Familie.

Rechtzeitig erreiche ich die welsche Metropole, hole die Startnummer ab und parkiere das Fahrzeug nicht unweit des Startgeländes. 5° C misst das Thermometer, der Tag erwacht langsam, der Himmel ist stahlblau und alles verspricht ein herrlicher Tag zu werden. Die perfekten Laufbedingungen.

Fast als Letzter komme ich ins Startgelände und muss sozusagen von zuhinterst starten, was ich ein bisschen bereue, da ich vorgängig gelesen habe, dass für die Rangliste die Bruttozeit genommen wird. Punkt 08.30 Uhr ertönt der Startschuss. Die Teilnehmerzahl ist überschaubar. Schnell komme ich zur Startlinie. Die Strasse wird schon nach 200 Meter breit. Das Feld verteilt sich, und ich kann mein Tempo einregulieren. Bei Kilometer 1 kann ich den 3:30 h-Pacemaker hinter mir lassen. Dies gibt mir einen kleinen Anhaltspunkt, in welcher Zielzeit ich mich bewege. Das Überholen baut mich auf, und gibt mir Anzeichen, dass ich fit bin und meine Energie aus dem Vollen schöpfen kann.

Jetzt bin ich gespannt auf den Verlauf der ersten Kilometer. Ist mein Körper doch nicht so fit, wird er sich spätestens jetzt bei dieser Anstrengung melden und mit Sicherheit bemerkbar machen in Form von Müdigkeitserscheinungen, zu hohem Puls oder im schlimmeren Fall gar Schwindelgefühlen. Gefasst und konzentriert renne ich mein Tempo in der Hoffnung, es bleibt alles wies es im Moment ist, denn ich bin gut unterwegs.

Ich habe das Gefühl, das ganze Feld ist schnell gestartet, und auch mein Tempo ist einiges höher als die Zielvorgabe meiner Zielendzeit von 3 Std. 23 Minuten. Dies kann ich von meiner Polar-Uhr ablesen, welche mir alle Daten liefert (Puls, Stundenkilometer, Kalorienverbrauch etc.). Je nach dem, wie man den Schrittmesser der Polar-Uhr am Schuh montiert, weicht die km/h-Zahl leicht ab vom tatsächlichen Wert. Da meine Uhr so eingestellt ist, dass sie nach jedem Kilometer „piepst“ und die Zwischenzeiten zusammenfasst, merke ich, dass die Anzeige gut 5 % übertreibt. Um kein Risiko einzugehen, halte ich mich jetzt an die Pulszielvorgabe von 164 - 171, um eine Übersäuerung zu verhindern und nicht nach der Halbzeit „einzugehen“.

Es ist immer wieder erstaunlich zu erfahren, was es ausmacht, wenn man am Vortag eines Rennens Kohlenhydrate in Form von Spaghettis zu sich nimmt. Wichtig ist einfach, dies spätestens 12 Stunden vor dem Start zu erledigen, so dass der letzte Stuhlgang vor dem Startschuss garantiert ist. Ansonsten könnte es unangenehm werden. Denn wer will schon unnötigen „Ballast“ über 42 km mitschleppen oder Zeit verlieren um eine Toilette aufzusuchen? Am Wettkampf habe ich, mit Kohlenhydraten geladen, jedes Mal kein Gefühl für das Tempo, denn ich bin immer einiges schneller unterwegs und nehme dies stets mit Freude und Verblüffung wahr. Evt. hat dies aber auch mit dem Adrenalin zu tun, welches während eines Wettkampfs für Antrieb sorgt.

Die Strecke ist nicht besonders attraktiv, aber sehr gut gekennzeichnet. An jeder Abzweigung hat es Helfer, die die Läufer anfeuern und ihnen den Weg weisen. Ansonsten ist die Zuschauerzahl eher spärlich. Einzelne Musikbands spielen am Strassenrand zum Teil vereinsamt vor sich hin.

Im Vergleich zu anderen grossen Marathonläufen wie Hamburg und Berlin hat man ausreichend Platz. Ich renne jetzt immer wieder ein paar Kilometer in 2er- oder 4er-Gruppen. Wir sprechen nicht miteinander. Würde ich Französisch sprechen, wäre das für meine Hirnzellen eine Anstrengung, auf die ich nicht scharf bin. Ich konzentriere mich lieber auf den gleichmässigen Schritt und Laufstil.

Bei Kilometer 14, nach einem richtigen „Runners-High“ auf der langen Geraden entlang des Ufers des Lac Lémons, kann ich auf das 3:15 h-Pacemaker-Team aufschliessen. Ich habe das Gefühl, ich fliege. Irgendetwas treibt mich an. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mein „Motor“ läuft zur Höchstform auf. Die 3:15er-Gruppe besteht aus gut zehn Läufern, welche mich kurz anstarren, während ich zu ihnen aufschliesse.

Ich halte mich an die Gruppe, und das Tempo ist mir genehm. Eine Endzeit von 3:15 h wäre doch was. Die Probleme kommen jedoch immer auf den letzten Kilometern. Ich renne mein Tempo weiter und kann mich von dieser Gruppe auf ca. 2 - 3 Minuten absetzen, jedoch immer mit dem Bewusstsein, dass sie im Rücken „lauern“ und ihr Tempo bis ans Ziel durchziehen werden.

Nach einer Stunde und 36 Minuten erreiche ich das Start-/Zielgelände, und die Hälfte ist bei Kilometer 21 geschafft. Ab jetzt gehts in die 2. Runde. Ich fühle mich immer noch grossartig und kann die ca. 13,5 km/h oder den konstanten Kilometerschnitt von 4:40 h gut halten.

Bis Kilometer 28 renne ich fast alleine. Weit und breit fast kein Läufer zu sehen, was mich auch nicht stört. Aber die schöne Aussicht kann ich im Industriegebiet oder hinteren Stadtteil von Genf zwischen Hochhäusern und Garagen nicht wirklich geniessen.

Bei Kilometer 30 kommen wir wieder an den See, und wir peilen die lange Gerade entlang der Promenade an. Jetzt die ersten Müdigkeitserscheinungen.

Bei Kilometer 38 schliesst das 3:15 h- Pacemaker-Team von hinten auf mich auf. Es sind jedoch nur noch vier Läufer übrig geblieben. Ich versuche ihnen anzuhangen, denn sie sind nur unwesentlich schneller. Es gelingt mir genau 30 Sekunden lang. Die Schmerzen in den Beinen nehmen jetzt stark zu. Ich muss richtig beissen und mich konzentrieren weiter zu rennen. Zwar sind nur noch vier Kilometer übrig, aber das sind umgerechnet immerhin noch gut 20 Minuten Laufzeit.

Ich rechne und rechne, ob ich es unter 3:15 h schaffen kann. Das wäre die Qualifikation für den bekannten Boston Marathon. Es wird knapp. In dieser Phase geht einem die Rechnerei eben meistens nicht mehr auf. Aber genau dieser Moment, welcher der härteste an einem Marathon ist, macht die Disziplin zum unvergesslichen Erlebnis. Daran erinnert man sich am Schluss am meisten, und man ist auf diese Phase am meisten stolz. Man rennt über drei Stunden, und am Schluss geht es um Sekunden. Tausend Sachen schiessen einem durch den Kopf. Der Körper sendet ein Schmerzsignal nach dem andern, bei jedem Schritt. Die Kilometer wollen nicht mehr purzeln, und man hofft auf die Kilometertafeln 39, 40 und 41. Jetzt noch ein Kilometer. Es ist der längste Kilometer, jener, der nicht enden will.

Mit einem kleinen Endspurt kann ich mit 3:16 h einlaufen: 37. Rang in meiner Klasse oder Rang 98 overall (siehe Film). Mein persönlicher neuer Marathonrekord. Dies, mit merklich weniger Trainingseinheiten (dafür aufbauende), ohne grosse Ernährungsvorbereitungen, und vor allem ohne einen einzigen Powergel. Ich hatte keine Magenverstimmung, und der berühmte „Hammer“ traf erst sehr spät bei Kilometer 38 ein. Auch bin ich noch keinen Marathon so konstant gerannt. Dies sind für mich wichtige neue Erkenntnisse und eine Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein mit den Vorbereitungen für den Lucerne Marathon in einem Monat.

Um 15.00 Uhr bin ich wieder zurück in Luzern, wo ich mit Piera das schöne Wetter am Quai geniesse.


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