Irontrail

10. August 2013 - Nachdem der 1. Irontail im Vorjahr abgesagt wurde, freute ich mich auf den 2. Anlauf mit der Überzeugung, dass es diesmal klappt.

Die im letzten Jahr noch aufwendig zusammen gewürfelte Pflichtausrüstung war somit vorhanden. Auch die „Kopfarbeit“ vor allem mit dem Rucksack, respektive drei Kilogramm am Rücken zu rennen hatte ich hinter mir. Etwas, an das man sich einfach gewöhnen muss, auch wenn man in diesem Moment nicht glaubt, all das Equipment zu brauchen. Jedenfalls muss man sich damit vertraut machen, trainieren und einfach testen. Der Aufwand der Vorbereitung ist grösser als üblich. Um so weniger möchte man, dass es dann am Lauftag scheitert, dass zum Beispiel der Rucksack den Rücken aufreibt etc.

Die Materialabstimmung muss in meinem Falle für 8-10 Stunden Dauerlauf funktionieren und bei jeder Wetterbedingung, sei es Hitze, Regen oder gar Schneefall ganz oben auf dem Weisshorn. Bei den knapp 50 Kilometer und 3‘000 Höhenmeter die zu bewältigen sind muss man mit den unterschiedlichsten klimatischen Verhältnissen rechnen. Die Verpflegungsposten sind in 2 - 3 Stunden Abstand zu erreichen, total drei an der Zahl. Also viel weniger als bei einem üblichen Strassenmarathon, abgesehen von den zusätzlichen Höhenmeter. Die Pflichtausrüstung umfasste wie folgt:

  • Mobiltelefon (mit gespeicherter Notfallnummer)
  • Flasche oder Trinkbeutel für min. 1 Liter Getränk
  • Notfallverpflegung: 500 Kalorien, 0.5 Liter Getränk 
  • Trinkbecher oder Trinkflasche (1.5 dl)
  • Funktionelle Laufbekleidung
  • Trail-Laufschuhe
  • Warme Kleidung (isolierend, Langarmhemd, lange Laufhose)
  • Wasserdichte Jacke mit Kapuze und Überhose
  • Handschuhe und Mütze
  • Funktionstüchtige Stirnlampe
  • Notfallausrüstung (elastische Binde, Rettungsdecke, Notrufpfeife)
  • Streckenkarten 
  • Tracker (vom Veranstalter gestellt)

Empfohlen werden:

  • GPS-Gerät
  • Wechselkleidung
  • Ersatz-Stirnlampe oder Ersatzbatterie
  • Teleskopstöcke (Start bis Ziel)

10 Tage vor dem Irontrail machte ich am 1. August in Engelberg noch ein Höhentraining und letzten Materialscheck auf die Trüebsee. Es ging wunderbar und vor allem beim "down-hill" testete ich mein Formhoch. Link zur Route.

Am Tag danach das böse erwachen: Muskelkater wie nach einem Marathonlauf. „What happend“? Keine Ahnung! Selbst beim Intervalltraining hatte ich nie Muskelkater. Weitere Trainings waren jetzt unmöglich und ich war mir bewusst, dass die Regeneration eine Woche dauert. Was mich aber mehr beschäftigte war die gereizte Achillessehne und das zusätzliche Halsweh. Eins war mir immer klar, diesen Ultramarathon darf ich nur kerngesund angehen, 1. Regel! Diese Tatsache nahm mir ein bisschen dir Vorfreude aber es kam alles gut.

Am Samstagmorgen 10. August 2013 mache ich mich mit meiner Frau auf den Weg Richtung Bündner Bergen. Ein perfekter Wettkampftag, sonnig und ganz leicht bewölkt. Auch die Wetterprognosen könnten besser nicht sein. Auf der Autobahn Richtung Chur erkennen wir auf der Gegenfahrbahn sechs Kilometer Stau. Auf unserer Fahrtrichtung würde ich den Start glatt verpassen. Man kann alles noch zu gut planen, am Schluss braucht es auch noch eine Portion Glück.

Rechtzeitig treffen wir auf dem Startgelände, dem Schulhaus auf der Lenzerheide ein. Bei den gut 100 Läuferinnen und Läufer keine riesengrosse Sache, aber sympathisch. Startbüro ist ein Tisch im freien. Ich muss per Unterschrift für die Pflichtausrüstung, das Rennverhalten sowie das Risikosbewusssein bestätigen. Einmalmehr wird einem klar, das wird kein Spaziergang. Es kribbelt im Bauch.

Alle Läufer werden mit einem Tracker ausgerüstet. Auf einer bestimmten Website kann man somit jederzeit nachschauen wo sich die einzelnen Läufer befinden, aber auch ob einer von der Route abkam. Auch kann man damit ein Notruf aussenden. Fünf Minuten vor dem Start setzte ich meine Sportbrille auf und es macht „Klick“, der eine Bügel ist gebrochen. Die Zeit reicht reicht gerade noch im Fahrzeug meine Sonnenbrille zu holen. Dramatisch ertönt jetzt über die Lautsprecher " Pirates of the Carebiean" und es wird jedem klar, dass es jetzt ernst wird und dann folgt der Startschuss.

Trotz Sonne geht eine frische Bise. Die Strecke führt am Ufer des Heidsee entlang Richtung Parpan. Mir ist die Route vom Graubünden Marathon bestens bekannt. Mein Rucksack, etwas über drei Kilogramm schwer, hält sich gut am Rücken. Einzig die linke Achillessehne spüre ich bei jedem Schritt. Dies macht mich unsicher respektive nervös. Hoffentlich hält sie und verschlechtert sich nicht, ich brauche volle Leistung auf beiden Beinen.

Ich kann mich im Tempo gut halten und mich im vorderen Viertel des noch  mehr oder weniger kompakten und Läuferfeldes festigen. Eine handvoll Läufer zogen ab und davon. Bei dieser kleinen Läufermenge und gleichzeitig langen Strecke ist klar, dass es ein einsames Rennen wird.

Links unter mir kommen vier Läufer Querfeld ein die Wiese hoch. Sie müssen eine Streckenmarkierung übersehen haben. Es geht jetzt bereits leicht aber konstant aufwärts Richtung Joch auf knapp über 2000 m ü.M. Je höher wir kommen, je stärker kühlt es ab. Die Steigung mit dem zusätzlichen Gewicht am Rücken fährt den Puls hoch.

Oben auf dem Gipfel geht es das erste Mal kräftig runter. Meine Sonnenbrille rutscht nun immer der Nase nach runter. Jene ist definitiv nicht geeignet für dies Art von Lauf. Da sie leicht korrigiert ist, musste ich sie zuerst 100 Mal hochschieben bevor ich merke, dass es so nicht geht und keine Lösung ist. So ziehe ich sie aus. Meine Augen müssen sich jetzt erst an die neue Distanzberechnung gewöhnen. Bei der Ortschaft Furgglis vorbei erreichen wir nach 700 Meter "down-hill" (und dies war definitiv nichts für die Kniegelenke) Tschierschen auf 1‘300 m ü. M. Ein Dorf wie im Bilderbuch, intakt ohne Bausünden und einfach nur idyllisch. Ein Besuch wert.

Dort erreiche ich jetzt den ersten Verpflegungs- und Sanitätsposten. Die freiwilligen Helfer sind sehr umsorgt und überaus freundlich. Hier gefällt es mir, am liebsten würde ein bisschen Zeit verbringen. Mein Getränketank (Camelbag) auf dem Rücken mit 1 Liter Gatorade und 0.5 Liter „Notfallwasser“ ist kaum angebraucht. Ich schnappe am Brunnen auf dem kleinen Platz noch frisches Quellwasser und weiter gehts. Ein weiterer Läufer ist nicht in Sicht und bei der folgenden Zick-Zack Route durchs Dorf habe ich das erste Mal bedenken eine Markierung zu übersehen. Einem Läufer zu folgen wäre bequemer und einfacher. Die zusätzliche Hirnaktivität braucht irgendwie spürbare Energie, welche man sich nicht gewohnt ist.

Jetzt geht’s hoch auf den Gipfel des Weisshorn und es folgen die nächsten Stunden 1‘300 Höhenmeter. Bis zur Baumgrenze ist die Route grösstenteils im Schatten, was bei der stehenden Sonne angenehm ist. Jetzt sehe ich auf felsigem Vorsprung den Gipfel.

Er wirkt noch sehr hoch oben und ich nehme mir vor die nächsten Blicke zu vermeiden. Ab und zu treffe ich auf Wanderer, einen Läufer oder weiche Kühen aus. Beim aufschliessen von Läufer geht meist jeder seinem Tempo schnaufend weiter, anders bei Thomas Wagner aus Freiburg. Mit ihm komme ich ins Gespräch und wir folgen der Route gemeinsam. Je höher wir kommen, je steiler und steiniger wird es. Der Schweiss läuft und der Durst meldet sich immer öfters. Beim Nippen am Gatorade habe ich das Gefühl immer noch mehr Durst zu bekommen, zu süss ist das Getränk, habe ich es doch noch extra mit Wasser verdünnt.

Der letzte Verpflegungsposten war zwei Stunden her und mein Getränketank ist jetzt finito. Die Notfallreserve muss raus. Thomas zieht weiter und halte kurz an um das Notfallwasser im Rucksack zu suchen. Der „Camelbeutel“ geöffnet sehnsüchtig am Mund spucke ich es gleich aus. Das Wasser im neuen Beutel schmeckte derart nach Plastik, dass ich es kaum runter bringen. Jetzt gilt es durchzuhalten.

Der Gipfel ist nicht mehr weit und ich treffe im letzten steilen Stück auf zwei Läufer auf. Einer davon ohne Teleskopstöcke, armer Kerl. Wir waren die Läufer 9, 10 und 11 auf dem Gipfel. Ups ich bin erstaunt, die meisten haben wir somit hinter uns gelassen. Dies motiviert mich nicht lange zu rasten und ich nahm mir jetzt vor, gute Ausgangslage halten zu wollen. Der Haupttank musste jedoch aufgefüllt werden und der Notfalltank ausgewaschen und gefüllt. Jetzt geht es 1‘000 Höhenmeter richtig steil runter nach Arosa. Ich dachte beim runter rennen kann ich mich dann erholen, aber das Gegenteil war der Fall. Das ewige Bremsen im steilen und sehr steinigen Hang kostete viel Kraft und das Profil meiner Schuhe.

Bis Arosa sehe ich keinen einzigen Läufer und habe auf der ganzen Strecke starkes Seitenstechen. Funktioniert eventuell eine Niere nicht mehr ganz richtig, geht mir durch den Kopf. Ab und zu folgt ein kurzes Stechen im Brustkorb. Dies löst sich jeweils, wenn ich verlangsame und den Rucksack ein bisschen löse. Die Achillessehne hält gut stand. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt die Markierung im Auge zu behalten. Man muss wirklich gut schauen und sich darauf konzentrieren. Jetzt erreicht mich ein SMS von meiner Frau und muntert mich auf. Durch den Tracker weiss sie jederzeit wo ich gerade bin und natürlich auch wer sich so vor oder hinter mir bewegt. Vor dem Hotel Tschuggen dann ein Fotograf mitten auf der Wiese. Ich fragte ich, ob er jetzt die ganze Nacht hier draussen aushalten wird. Zielschluss für alle Kategorien in Davos ist Sonntag um 16:00 Uhr, also in gut 22 Stunden!

In Arosa angelangt, „back to Zivilisation“, erwarte ich sehnsüchtig den zweiten Verpflegungsposten. Dieser ist tief im Bunker der Zivilschutzanlage. Ich gehe von einem Rundlauf aus, aber je tiefer es rein geht je weniger habe ich das Gefühl, es geht noch irgendwo anders raus, aus durch den Eingang. Im Herz der Anlage dann ein Schlaraffenland, wow! Das Angebot ragt über Pasta, Reis, Bouillon, alle möglichen Getränkearten, Engadiner Nusstorte, Schokoladenkuchen, Schokolade, diverse Früchte etc. Unter den überaus freundlichen Helfer ist auch mindestens ein Arzt vor Ort. Ich spreche ihn auf mein Seitenstechen an und er gab mir Entwarnung, dass dies kein gefährliches Alarmsignal eines Organes sein sollte.

Ich entscheide mich für Bouillon mit Reis. Nach dem grossen Verlust an Flüssigkeit, ich roch auch nicht mehr so fein und bin durchnässt, fehlt es mir sicherlich an Salz. Der Arzt bietet mir sogar an, die Stöcke vom Rucksack zu lösen und setzte sie mir auch gleich noch zusammen.

Motiviert verlasse ich das Betongewölbe. Es geht runter an den Stausee und dann der nächste Aufstieg nach Medergen. Dorthin dauert es gut 90 Minuten. Wiederum bin ich komplett alleine auf der Strecke, aber die Landschaft ist der wunderbar und mein „Begleiter“ in diesem Sinne . Ein Genuss die Natur so erleben zu dürfen.

In Medergen treffe ich auf ein wunderschönes Dörfchen. Alle Häuser sind im gleichen Stil gebaut und leicht versetzt im Hang. Ab und zu schaut einer aus dem Haus oder die Leute feuern einem an. Und dann passiert es. Ich bin abgelenkt vom Restaurant in diesem Dörfchen und übersehe eine einzige Streckenmarkierung. Ich war erstaunt hier ein solches vorzufinden und wäre am liebsten eingekehrt. Rein zufällig ist eine Läuferin hinter mir die kräftig zupfeift und schreit. Mir fährt es durch den Rücken und ich korrigiere sofort querfeldein um auf die Route zu kommen. Natürlich bedanke ich mich bei ihr.

Wir bewegen uns weiter auf einer Anhöhe bevor es nach Jatz runter geht. Dort treffe ich auf den Läufer Adrian Rossi der Kategorie T141. Gemeinsam gehen wir den Strelapass an. Es ein kerniger Anstieg, und im Tal zwischen den Felswänden wird es dunkler und kälter. In der Gröllhalde gefolgt im Zick-Zack Weg geht es steil hoch. Jetzt wird mir bewusst, wie wichtig die Pflichtausrüstung ist. Ohne Stirnlampe ist es nicht nur gefährlich, sondern inzwischen auch unmöglich auf dem Weg zu bleiben. Beim Aufstieg sahen wir hinter und auch vor uns keinen Läufer, aber jetzt mit den LED-Lampen kann man genau erkennen, wo sich noch Läufer befinden, in Abständen auf einer Linie. Und wenn man dann die Stöcke hört, ist einer schon ziemlich nahe. Ein tolles Bild. Oben angekommen in dre schwarzen Nacht bei der Hütte sind Streckenposten. Jeder Läufer wird notiert. 

Ich verstaue meine Stöcke kurz in dem Rucksack und jetzt geht es 800 Meter talwärts. Meine Stirnlampe hält auf der Mütze nicht richtig und rutscht. Ich versuche die Mütze rennend im Rucksack zu verstauen. Eine Sekunde achte ich nicht auf den Weg, stolpere und lande mit dem Knie voran auf dem harten Gestein. Der Läufer vor mir hört mich schreien und hält an. Resultat sind Schürfwunden an Beine und Arme, aber ich kann zum Glück weiter gehen, auch wenn es schmerzt.

Alle Läufer mussten sich beim Start verpflichten einander 1. Hilfe zu leisten. Macht Sinn, denn sonst ist wirklich weit und breit nichts. Mit der Lampe sehe ich gut zwei Meter weit. Der Läufer vor mir ist bereits wieder im dunkel verschwunden. Die Streckenmarkierung zu erkennen ist jetzt bergab einiges schwieriger geworden, denn es geht alles schneller. Ohne Stirnlampe „no chance“! Beim erblicken jeder Streckenmarkierung bin ich erleichtert.

Jetzt sehe ich ca. 200-300 Meter links von mir auf gleicher Höhe ein Läuferlicht. Ich bin überzeugt vom Weg abgekommen zu sein. Auch kam keine Streckenmarkierung mehr. Ich halte an und überlege. Kartenlesen hat jetzt keinen Sinn, ich weiss nicht genau wo ich bin, aber auf dem Handy kann ich den Track nachsehen. Hinter mir sind 3, 4 nein 5 Läufer gefolgt. Sie kommen in guten Tempo auf mich zu. Ich will sie ansprechen, aber es sind Ausländer und springen mir sozusagen um die Ohren. Sie wittern wohl die „Zielluft“. Ich überlege. Nun, statt noch mehr Zeit zu verlieren folge ich ihnen einfach. Die Streckenmarkierung fehlt nach wie vor, was ungewöhnlich ist. Dann kommen wir auf eine Naturstarasse und ein erlösendes Fähnchen wird sichtbar. Wir sind wieder auf der Route! Uff, Glück gehabt. Ich hole die Läufer vor mir wieder ein. Problem ist einfach, das ich wieder enorm Ausschau halten muss auf die Markierung. Je höher das Tempo, je schneller verpasst man eine Markierung. Vor auf diesem letzten Abschnitt der Schlittelpiste von der Schatzalp runter auf Davos kann man nochmals richtig Tempo machen.

Es wird heller und an den Lichtern von Davos nähern wir uns auch Ziel. Jetzt noch zwei Fussgängerstreifen die zu überqueren sind und dann geht’s links weg zum Zieleinlauf. Dort erkenne ich eine grosse digitale Anzeige mit 08:13. Die Erlösung, ich habs geschafft !. Ein fantastisches Glücksgefühl. 9. Schlussrang (6. in meiner Kategrie). Meine Frau Piera nahm mich in die Arme, was das Glück perfekt macht.

Am nächsten Tag wusste ich, das war nicht der letzte Ultarmarathon, obwohl ich gestern während dem Lauf mich immer wieder fragte, wieso ich dies tue und am Limit der Anstrengung nicht vorstellen konnte, dies noch einmal durchzumachen. Aber es macht schlicht süchtig.

Kompliment und Dankeschön der Organisation und alle den Helfern, welche dieses Erlebnis überhaupt ermöglichten.


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