Wien Marathon

29. April 2007 - Die „guten Vorsätze“ für das neue Jahr 2007 erfüllte ich mit dem ersten Training am 2. Januar und dann gleich richtig mit einem 20 km-Lauf. Über die strenge Weihnachtszeit war leider kein Training möglich, und so war das ersten Training in dieser Distanz keine gute Idee. Nach 10 km hätte ich am liebsten den Bus nach Hause genommen. Leider hatte ich kein Kleingeld dabei… Alles schmerzte und ich war förmlich und wörtlich ein eingerosteter Mann geworden.

Gut, ich hatte jetzt vier Monate Zeit, mich wieder in Topform zu bringen. Gerry, mein treuer Marathon-Freund (www.physio-luzern.ch) und ich nahmen uns vor, am 29. April nach Wien zu reisen für unser nächstes „Lauf-Abenteuer“. Unsere lieben Frauen sollten uns in die schöne Stadt natürlich begleiten.

Mein Trainingsplan gestaltete ich so, dass im Januar zwei bis drei Läufe angesagt waren zu je ca. einer Stunde resp. gut 12 km. Ab Februar lief ich kein Training mehr unter 16 km, resp. 80 - 90 min. Dies dann zwei bis drei Mal pro Woche. Im März, zwei Monate vor dem Marathon, war es die gleiche Strecke, aber ca. vier Mal pro Woche, und zusätzlich waren zwei Mal ein Halbmarathon Pflicht. Woche 4 und 3 vor dem Marathon kamen dann die zwei 30 km-Läufe dazu. Das Training stieg jetzt an bis auf 100 km die Woche. Dies war dann aber auch die Spitze, und die Tapering-Phase konnte beginnen. Unter Tapering versteht man im Laufsport das Trainingsverhalten des Athleten in den letzten Wochen vor dem Marathon.

Ich hatte mich ein bisschen informiert über das Essverhalten und begann diesmal 14 Tage vor dem Lauf den Körper basisch zu machen mit Basenpulver und hauptsächlich basischer Ernährung sowie ausreichend Magnesiumzufuhr für die Muskeln. Dies vor allem im Hinblick auf die Schmerzen, die die meisten Läufer ab km 30 zu plagen beginnen infolge der bekannten Übersäuerung.

Auch entschloss ich mich diesmal für die Saltin Diät. Eine auch umstrittene Methode. Es ist eine Wechseldiät für die letzte Woche vor dem Marathon. Ziel ist es, eine über das normale Maximum hinausgehende Glykogen-Einlagerung zu erreichen. Dabei wird ein Superkompensationseffekt des Körpers ausgenutzt. Zunächst nahm ich von Montag bis Mittwoch keine Kohlenhydrate zu mir. Die Glykogen-Speicher werden weitgehend geleert. In den nächsten zwei bis drei Tagen ass ich fast ausschliesslich Kohlenhydrate. Der Körper reagiert darauf mit verstärkter Einlagerung. Es kann deutlich mehr Glykogen als normal eingelagert werden. Dieses steht dem Läufer im Marathonwettkampf zusätzlich zur Verfügung. Mit Spaghettis und CARBO LOADER von Sponser lud ich meine Muskelspeicher mit Kohlenhydraten auf. Für die Kohlenhydrate-Kompensation während des Marathons liess ich meinen Magen an die Aufnahme des Liquid Power Gels, auch von Sponser, gewöhnen. Damit begann ich bereits vier Wochen vor dem Rennen bei jedem Training. Wichtig ist, dass man bei dem Lauf pro Stunde 60 – 80 g Kohlenhydrate zufügt und 0,8 – 1 Liter Wasser trinkt.

Die Vorbereitungen liefen perfekt und die 30 km-Läufe brachte ich besser den je über die Runden. Zwei Wochen vor dem Marathon lief ich noch einen Tempolauf von 80 min., und wollte es noch einmal richtig wissen. Ich glaube, dass ich da eine Muskelverspannung in der rechten Wade zuzog. Ich schenkte dem aber nicht all zu grosse Beachtung, da ich weder mit Gelenken, Muskeln, noch Sehnen je Probleme hatte. Leider löste sich die Verspannung bis am Tag vor dem Marathon nicht mehr. Als wir in Wien durch die Einkaufstrassen schlenderten, spürte ich ein leichtes Stechen. Meine Beunruhigung war gross. War jetzt das ganze Training bei Regen, Schnee und im Dunkeln spät Abends auf den grossen Tag in Wien vergeblich? Ich war wirklich sehr verunsichert und hatte eine leicht gedämpfte Stimmung. Gerry, mein Schweizer Freund und Mitläufer (Physiotherapeut der Gesundheitspraxis im Löwen Center in Luzern) empfahl mir am Vorabend auf die Schmerzstelle zu drücken, um die Spannung zu lösen. Ich tat dies im Bett vor dem Einschlafen auch für gut 10 min. Ich hatte Tränen in den Augen vor Schmerz.

Als ich am Sonntag, 29. April 2007, um 07.00 Uhr in Wien im Hotel erwachte, fühlte ich mich guten Mutes, da sich der Muskelkrampf in der Wade tatsächlich fast gelöst hatte. Ich war mir einfach noch unsicher, ob dies bei einer Dauerbelastung auch so bleibt.

Um 09.00 Uhr war der Start mit über 26'000 Läufern. Ich nahm wir vor, die ersten 10 km sachte anzugehen, da ich keinesfalls schon in der Startphase kleine Leiden, vor allem in der besagten Wade, herausfordern wollte. Auch trank ich auf Empfehlung einiges mehr vor dem Start, musste dann aber prompt bei km 8 eine kleine Pinkelpause an einem Wiener Baum einlegen. Mit voller Blase zu rennen ist doch schon sehr drückend.

Es lief alles bestens. Alle 5 km, was gut 20 min. entsprach, war eine „Tankstelle“ oder anders ausgedrückt ein Getränkestand vorhanden. Die Kohlenhydrate in der Tube konnte ich somit perfekt alle 20 min. zu mir nehmen (wie empfohlen), und die 2 - 3 Becher puren Wassers mussten gleich danach in den Magen gekippt werden. Das Wasser wollte ich natürlich nicht mitschleppen, denn diese 2 - 3 kg hätten mich auch psychologisch alles andere als motiviert. Ich informierte mich in einer Fachzeitschrift, dass man eh besser Wasser trinken sollte, denn die Energiegemische sind immer verschieden und oft sogar problematisch für den Körper, da der Mangen möglicherweise an andere Mischungen gewöhnt ist. Oft sind sie auch zu stark verdünnt. Mit den Liquid Power Gels und dem Wasser führte ich die optimierte und kontrollierte Menge zu. Nach km 10 hatte ich gut bis km 20 das bekannte Runner’s High. Es ist ein Gefühl, als ob durch die Strassen fliege. Man ist wie ein einem Rauschzustand in perfekter Harmonie mit dem Köper. Ein Glücksgefühl voller Freude. Ab und zu fror es mich trotz Hitze und Anstrengung durch den ganzen Körper und vielleicht waren dies die Momente der Ausschüttung der Endorphine.

Bei den jeweiligen Wasserstopps alle 20 min. kam ich mir vor wie bei einem Boxenstop um aufzutanken. Die Tafeln zeigten 200 m, 100 m bis zu den Getränken. Jetzt schnell den Gel schlucken und die Tube wieder verstauen, damit die Hände frei sind für die 2 - 3 Wasserbecher. Schön einspuren und schauen, dass hinten niemand ist, der dir auf die Waden steht. Die Getränketische sind jeweils fast 50 m lang. Genug lang, damit man nicht anhalten muss. Zuerst kommt Tee, dann Powergetränke und schliesslich Wasser. Schnell drei Becher fassen und weggehen, sonst wird man geschupst und getreten von superenergischen oder bereits wackligen Läufern. Jetzt den Becherinhalt beim Laufen runterschlucken und wichtig: ohne Luft! 10 - 20 sek. lang spürt man, wie sich alles im Magen setzt, und dann ist man wieder getankt für die nächsten 20 min. Jetzt wieder konzentrieren und Gas geben.

Bei km 26 übergab mir Piera die letzten drei Tuben Liquid Power Gels, da die totale Menge nicht Platz hatte im meinem Dress. Bei km 34 rechnete ich mir aus, dass ich bei diesem Tempo locker in 3:19 h durch die Ziellinie laufen kann. Beim Rechnen und Überlegen zum persönlichen Rekord verpasste ich dann aber die Wasserstation bei km 35, und ab km 36 kam der bekannte „Hammer“. 2 km konnte ich das Tempo noch so knapp halten, die letzten 4 km waren aber die Hölle. Es war Schmerz pur, und alle, aber wirklich alle Sorgen im Leben wurden einem plötzlich egal. Man hatte nur noch einen Gedanken, wie komme ich ans Ziel. Alles andere wird unwichtig. Zwar sind 4 km nicht mehr im Verhältnis zu 42,195 km, aber es sind immerhin 20 min. In diesen 20 min. geht einem wirklich alles durch den Kopf, und man kommt so richtig auf den „Boden“ zurück. Marathon-Kollegen wissen, von was ich spreche. Zwischendurch musste ich sogar 20 - 30 Sekunden gehen. Es stach so extrem im Oberschenkel. Meine Laufhaltung war jetzt gebückt und jeder Schritt war wie ein Messerstich. Beim letzten km wurde die Strasse immer enger und die Zuschauer feuerten in Massen an. Ich konnte nochmals ein bisschen Gas geben. Man hatte wirklich das Gefühl, man wird ins Ziel getragen. Geschafft, was für ein Gefühl!


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