Zermatt Marathon

4. Juli 2009 - Meine drei Trainingseinheiten pro Woche mit www.vicsystem.ch hielt ich strickte ein. Die Erholungsphase nach dem Winterthur Marathon, der gerade mal sechs Wochen zurücklag, war hartnäckig. Und so waren diese Wochen sehr knapp für eine optimale Alpinmarathon-Vorbereitung.

Vielleicht lag es auch an der enormen Hitze in Winterthur, die einfach eine längere Erholung beanspruchte. Jedenfalls kamen die zwei Wochen Sommerferien mit Piera und Elias anfangs Juni gerade richtig.

Im Tirol auf dem Mieminger-Plateau hatte ich ein optimales Trainingsgelände direkt vor der Hoteltüre. Das Hotel Holzleiten bot tolle Möglichkeiten, und diverse Strecken waren sehr gut beschildert. Meine zwei Lieblingsrunden:
- Grünberg-Runde
- Fernsteinsee-Runde

Die Vorfreude auf Zermatt war gross. Leider bekam ich aber  zwei Wochen vor dem Lauf eine heftige Grippe. Jahre hatte es mich nicht mehr so erwischt. Als das Thermometer 40 °C erreichte, und ich im Bett mit Pijama, Trainer und drei Decken immer noch vor Kälte zitterte, musste ich ernsthaft die Einnahme von Antibiotika überlegen. Das hätte aber die Teilnahme stark in Frage gestellt. Dank der heissen Bettflaschen ging das Fieber wieder so schnell zurück, wie es gekommen war ohne "heavy Medis". Nun stand den Abschlusstrainings, wenn auch noch leicht geschwächt, nichts mehr im Wege. Ich dachte, meine Teilnahme sei gerettet, bis mir die Duschbrause nach einem Training zehn Tage vor dem Marathon aus der Hand glitt und direkt auf den zweitkleinsten Zeh schlug. Am nächsten Morgen konnte ich kaum noch gehen und getraute mich nicht den Schuh zu öffnen, denn ich spürte, wie der Zeh anschwoll. Der Schmerz nahm jedoch mit jedem Tag ab. Die Erleichterung war gross. Wäre dies eine Woche später passiert, wäre alles anders gekommen. Manchmal braucht man einfach eine Portion Glück im Unglück. So stand meinem 12. Marathon nichts mehr im Wege.

Freitag, 3. Juli 2009

Nach einem Zwischenhalt in Brig, wo Elias seine Mahlzeit via Schoppen bekommt, erreichen wir um 16.30 Uhr St. Niklaus. Die Marathonstimmung liegt bei der Anfahrt schon in der Luft, und es ist einiges los. Hier ist Endstation mit unserem Fahrzeug, weiter gehts mit dem Zug ins autofreie Zermatt. Zwar hätten wir noch drei Ortschaften weiterfahren können, aber in St. Niklaus können wir nicht nur gratis parkieren, hier ist auch die Startnummerausgabe und der Start des Marathons morgen um 09.30 Uhr. Ein idyllisches, übersichtliches, kleines Dörfchen, tief im Tal mit Kirche, Schulhaus und Bahnhof, alles schön beieinander. St. Niklaus ist eine der Geburtsstätten des Alpinismus und kann auf eine lange Tradition hervorragender Berggänger zurückblicken. Es ist der ideale Ausgangspunkt für moderne Gipfelstürmer der etwas anderen Art - Marathonläuferinnen und Marathonläufer.

Im vollgestopften Zug reisen wir nach Zermatt mit all unserem Gepäck inklusive Kinderwagen. Die Marathonstrecke morgen führt sozusagen der Bahnlinie entlang, und so bekomme ich gleich einen ersten Eindruck.

Nach gut 30 Minuten Fahrzeit erreichen wir den Sackbahnhof in Zermatt und fahren mit dem Elektrotaxi zum schönen Hotel Dufour mit Ausblick direkt aufs Matthorn.

Sonja und Gerry sind schon heute Mittag angereist, und zusammen gehen wir auf die Suche nach einem Restaurant für unsere letzten und wichtigen Kohlenhydrate. Ich, in Form von Pasta, und Gerry, in Form von Kartoffeln. Es wurde nicht zu spät, denn schliesslich wollen wir morgen top fit sein.

Samstag, 4. Juli 2009

Um 06.00 Uhr klingelt der Wecker. Das Morgenbuffet ist unübertrefflich, nur leider müssen wir uns so stark einschränken mit der Kost, dass es schon fast schmerzt. Ein bisschen Weissbrot mit Honig und eine Tasse Kaffe für das nicht unwichtige Koffein - das wars dann schon. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof und geniessen den Morgenwalk durch das idyllische Dorf, welches auch langsam erwacht. Das Matterhorn am Horizont steht bereits prachtvoll in der Sonne. Im Zug kommt langsam die Nervosität auf und die Stimmung mit all den Läufern ist, wie immer bei solchen Anlässen, unvergleichlich. Auch Natascha und René aus Luzern sitzen im gleichen Zug. In St. Niklaus auf 1'085 m ü. M. angekommen, treffen wir auf Andrea, Birdy und Lucky, die heute Morgen direkt aus Luzern angereist sind.

Von hier führt die Strecke, teils an der Visp entlang, durch die typischen Waliser Dörfer mit den von der Sonne schwarz gebrannten Häusern Herbriggen, Randa und Täsch.

Nachdem sich die Elite und die Staffelläufer bereits ein paar Minuten vor uns auf den Weg machen, fällt unser Startschuss um 09.38 Uhr. Die Sonne steht jetzt bereits hoch am Himmel. Ziel ist der Riffelberg, auf 2'585 m ü. M. Trotz der enormen Höhenmeter ist die Strecke 42,195 km lang, wie jeder Marathon. Die zu bewältigende Höhendifferenz der alpinen Laufherausforderung ist 1'944 m, mit einem Gefälle von 444 m. Es ist einer der anforderungsreichsten Marathons Europas.

Es geht auf dem 1. Kilometer bereits bergauf. Wir rennen durch das Dörfchen. Es wird schnell enger, und ich versuche gleich ein bisschen vorne mitzuhalten. Nicht, dass mir das Gleiche passiert wie am Jungfrau Marathon, wo man einfach nicht mehr überholen kann. Die Sonne brennt und kaum zwei Kilometer gelaufen, meldet sich der Durst. Mein Kilometerschnitt liegt bei knapp über fünf Minuten, was ich gut halten kann bis zur ersten Trinkstation. Uff, das tut richtig gut. Aus drei Bechern während des Laufens zu trinken, habe ich ja bereits am Winterthur Marathon geübt. Die Lauffreunde aus Luzern habe anfangs aus den Augen verloren, aber vielleicht sieht man sich ja unterwegs noch. Jedenfalls falle ich mit dem rosa Bachmann-Rennshirt gut auf.

Die Strecke führt immer wieder der Bahnlinie entlang weitgehend auf dem linken Visp-Ufer. Ein Zug mit Schaulustigen folgt den Läufern, und wir werden von der "fahrenden Tribüne" so richtig angefeuert und begleitet.

Übrigens, befinden wir uns im tiefsten Tal der Schweiz inmitten von 29 Viertausendern. Die Steigung ist kontinuierlich, aber noch angenehm, wäre diese Hitze nicht. Wir rennen auf Naturstrassen, Wiesen und auf Asphalt. Ein gute Abwechslung und eine wahrhaft schöne Gegend. Ich "blange" bereits auf die nächste Getränkestation, welche bald bei Kilometer 10 kommen wird. Der Wasserverlust ist enorm und trinken ist das erste Gebot heute für einen Zieleinlauf. 

Wir nähern uns immer mehr Zermatt auf 1'600 m ü. M., dem Weltkurort schlechthin, und auch das Matterhorn wird langsam wieder ersichtlich. Es geht über Stock und Stein.

In Zermatt erreichen wir vor dem Bahnhof den 4. Verpflegungsposten. Die Auswahl ist grösser denn je. Ich schnappe mir wiederum drei Becher, darunter erstmals lauwarme Bouillon, denn ich muss sicher schon viel Salz verloren haben.

Hier ist die Halbmarathondistanz erreicht, und mit knapp über zwei Stunden kann ich meinen Kilometerschnitt mehr oder weniger halten. Mitten im Dorf treffe ich auf Piera, Sonja und meinen kleinen Fan Elias. Sie feuern mich und meine Laufkollegen an und machen eine paar Schnappschüsse.

Plötzliche verspüre ich ein enormes stechen auf Höhe der Niere. Der Schmerz wird so stark, dass ich anhalten muss. Zum Glück geht es jetzt gleich leicht berauf, so kann ich mit gutem Gewissen ein paar Schritte gehen. Ich versuche zwei bis drei Mal wieder zu rennen, leider unmöglich. "Wars das?" Ich werde sehr unsicher und atme tief durch. Nach zwei bis drei Minuten verschwindet das Stechen langsam, und ich kann wieder sachte rennen. "Was war denn das?" Möglicherweise hat die Bouillon gemischt mit dem isotonischen Getränk nicht so gut getan. Jedenfalls bin ich sehr erleichtert, dass es nicht anhielt. Bei der Zermatterschlaufe, welche ca. ein Kilometer lang ist, rennt man einen kurzen Teil gegeneinander. Und siehe da, Andrea, dicht hinter mir, winkt mir zu. Ihr strahlendes Lachen zeigt mir, dass sie sich gut fühlt. 

Von hier an folgt die Strecke der Naturstrasse bis auf die Sunnegga. Jetzt geht es stark berauf.  Ich muss zwischendurch immer längere Abschnitte einfach den Gehschritt einschalten, versuche jenen einfach zügig zu gehen. Der Kräfteverschleiss ist so geringer und mir fällt auf, dass ich unwesentlich langsamer bin als einige Läufer auf meiner Höhe, die rennen oder besser traben. Zwischendurch ebnet sich der Weg. Rennen, um Zeit aufzuholen, ist ein MUST, jedoch wird dies immer schwerer und qualvoller.

Der lange Aufstieg geht durch Arvenwälder und Almwiesen. Wir werden mit einem atemberaubenden Blick auf das Alpenpanorama belohnt. Mühsam sind die vielen Fliegen, die wir wahrscheinlich anziehen. Sie sind zwar treue Wegbegleiter über Stunden, werden aber wenig geschätzt.

Auf dem Plateau angelangt, passieren wir den Leisee, ein idyllisch gelegener Badesee mit einer grandiosen Matterhornspiegelung. Doch das Matterhorn hält sich diesmal bedeckt und zeigt nur ein wenig von seiner Schönheit.

Bei Km 38 laufe ich auf Birdy auf. Es tut gut ein paar Worte zu wechseln. Ausser Atem motivierten wir uns gegenseitig. Birdy rät mir im noch flachen Streckenabschnitt bis Km 40 alles zu geben, denn nach der Riffelalp auf 2'222 m ü M. zum Riffelberg auf 2'585 m ü M. gehe es erst richtig los. Und so ists dann auch. Zwar verbleiben nur noch gut zwei Kilometer bis ans Ziel, aber ich stehe wie an einer Wand.

Der Weg führt jetzt entlang der höchst gelegenen Strassenbahn Europas. Die ist der schwierige Schlussteil der Strecke. Auf dem letzten Abschnitt, dem Kaiseranstieg, gilt es nun die restlichen 360 Meter Höhenunterschied zu überwinden, bis das Ziel auf dem Riffelberg am Gornergrat erreicht ist. Hier können wir nochmals die Anfeuerungsrufe aus der Bahn geniessen.

Im Flachen Stück kann ich mich zwar leicht von Birdy absetzen, aber bei Km 41 zieht er wie ein Gämsi an mir vorbei. Ich bin am Ende meiner Kraft. Sein Tempo ist für mich nicht zu halten. Auch wenn das Ziel zum riechen nah ist.

Angekommen, Riffelberg, 2'585 m ü. M. Jetzt noch die letzte Schlaufe mit dem Ziel vor Augen. Das Atmen fällt leichter. Die 29 Viertausender winken jedem zu, der das Zielband durchbricht - denn jeder ist ein Sieger, der hier ankommt - bis spätestens um 16.40 Uhr abends. Nach vier Stunden und 43 Minuten habe ich es geschafft.

Übrigens, ganze zwei Sekunden schneller als am Jungfraumarathon vor zwei Jahren, nur waren dies ein paar Höhenmeter weniger. Birdy kam von uns als Erster ans Ziel (zwei Minuten vor mir), Natascha, Gerry und Andrea kurz danach und auch René und Lucky schafften es.

Fast 1'600 Läuferinnen und Läufer sorgten erneut für einen neuen Teilnehmerrekord. Davon wurden, einschliesslich der Zweierstaffeln, 1'462 klassifiziert. Lässt man die Staffeln unberücksichtigt, so finishten 1'092 Läuferinnen und Läufer, das sind 113 mehr als im Vorjahr.

Am Abend geniessen wir das gemeinsame Nachtessen und können so richtig reinhauen. Nach den "programmierten" Mahlzeiten in den letzten zehn Tagen ist das eine richtige Wohltat.

Einmalmehr ein unvergessliches Erlebnis, an das wir uns noch lange mit Freude und Stolz erinnern werden.

Speziellen Dank:

Meiner lieben Frau Piera, für die Unterstützung.
Sonja, für den Support und liebevollen Umgang mit Elias.
Andrea, für die tollen Tipps und Reservationen.
Zermatt Marathon, für die perfekte Organisation: www.zermattmarathon.ch

Hier gehts zur Berichterstattung von Gerry: www.physio-luzern.ch


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